römisches Recht

römisches Recht
römisches Recht,
 
das Recht des antiken römischen Staates, wie es sich von der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. entwickelte. Es wurde seit dem hohen Mittelalter zum gemeinen, überall im Lateinisch schreibenden Europa geltenden Recht und ist die Grundlage aller modernen Rechtsordnungen der westlichen Welt.
 
 
Am Anfang der Entwicklung stand ein von Sitte und sakralem Brauch (mos maiorum) noch nicht geschiedenes Gewohnheitsrecht. Staatliches Recht wurde zum ersten Mal im Zwölftafelgesetz (451/450 v. Chr.) aufgeschrieben, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsstellung der Plebejer gegenüber den Patriziern zu verbessern. In den folgenden Jahrhunderten wurde das Recht durch Volksgesetze und Plebiszite und v. a. durch die Rechtsschöpfung der Prätoren und ihrer rechtskundigen Berater weiterentwickelt. Im Rahmen des »Amts-« oder »Honorarrechts«, das sie jährlich bei Antritt ihres Amtes im Edikt publizierten, bildeten die Prätoren das Zivilrecht (ius civile, »bürgerliches Recht«) der rechtlich selbstständigen römischen Bürger (cives Romani sui iuris) fort und schufen daneben neu ein auch die Ausländer als Träger von Rechten und Pflichten anerkennendes »Ausländerrecht« (ius gentium). Die frühe Kaiserzeit (1. Jahrhundert-Anfang 3. Jahrhundert), das »Prinzipat«, war die klassische Zeit der römischen Rechtswissenschaft. Das Recht wurde nun v. a. in Gutachten der Juristen und in der praktisch ausgerichteten Rechtsliteratur entfaltet, außerdem durch Senatsbeschlüsse (senatus consulta), die jetzt Gesetzeskraft hatten, sowie, zunehmend, durch kaiserlichen Edikte, Dekrete und Reskripte (constitutiones principum, »kaiserliche Verordnungen«). Lex.
 
Die Ausdehnung des römischen Bürgerrechts auf fast alle Reichseinwohner durch Caracalla (212, Constitutio Antoniniana) und der Versuch der Kaiser Diokletian und Konstantin um 300, in einer Zeit allgemeinen Niedergangs, die Anwendung des römischen Rechts im ganzen Reich durchzusetzen, führten zur Zerstörung der hohen Rechtskultur. Das Recht verarmte zum Vulgarrecht. Die wachsende Rechtsunsicherheit suchte man durch Zitiergesetze und eine amtliche Sammlung der geltenden Kaiserkonstitutionen, v. a. im Codex Theodosianus (nach Theodosius II., 438), zu bekämpfen. Justinian I. (527-565) schuf eine umfassende Kodifikation, das Corpus Iuris Civilis.
 
 
Das römische Zivilrecht überließ dem rechtlich selbstständigen, d. h. unter niemandes Gewalt stehenden Römer als »Hausvater« (Pater Familias) die Gewalt (dominium, »Hausgewalt«, »Eigentum«) über diejenigen Menschen, Tiere, Grundstücke und bewegliche Sachen, die sein Haus (domus) oder seine Familie (familia) bildeten. Dazu gehörte in alter Zeit oft auch die Ehefrau (uxor). Schon seit der jüngeren Republik trat die Ehefrau aber nur noch ausnahmsweise in die Familie ihres Mannes ein. Sie verblieb entweder unter der Gewalt ihres Vaters oder war rechtlich selbstständig (Frau). Im letzteren Fall bestand zwischen den Ehegatten Gütertrennung. Der Ehemann erhielt aber vonseiten der Frau eine Vermögenszuwendung (dos, »Gabe«, »Mitgift«), die er ihr bei Beendigung der Ehe herauszugeben hatte. Eingehung und Scheidung der stets monogamen Ehe waren frei. Innerhalb der Familien galten bis in die Kaiserzeit hinein nur sakrale und sittliche Bindungen. Freie, auch erwachsene, und unfreie Hausangehörige waren gleichermaßen rechtsunfähig, doch konnte der Hausvater ihnen eigenes Vermögen (peculium) zugestehen. Außer dem Eigentum an ihm gehörenden Sachen konnte der Hausvater auch beschränkte »Rechte an fremden Sachen« (Nießbrauch; Pfandrechte; Dienstbarkeiten) haben. Beim Tod des Hausvaters wurden seine Hauskinder rechtlich selbstständig (sui iuris). Sie beerbten ihn zu gleichen Teilen, soweit er nicht durch Testament anders verfügt hatte; Frauen und Unmündige erhielten einen Vormund (tutor). Rechtlich selbstständige Personen konnten einander im Rahmen der Geschäftsfähigkeit durch schuldrechtliche Verträge zu einer Leistung verpflichten. Gebräuchliche Vertragsarten waren: die Stipulation, Kauf, »Verdingung« (Miete), Auftrag, Darlehen, Leihe u. a. Wer einen andern durch ein Delikt persönlich oder in seinen Rechten verletzte, wurde zur Leistung einer Buße (poena) verpflichtet. Recht über Personen und Sachen sowie Forderungen konnten durch Klagen (actio) gerichtlich geltend gemacht und durch Prozess zwangsweise durchgesetzt werden. Selbsthilfe führte im Allgemeinen nicht zum Erfolg, weil Gewaltanwendung verboten war.
 
 
Nach dem Zwölftafelgesetz war der Rechtsbrecher der Rache des Verletzten oder, bei Mord, seiner Sippe ausgesetzt oder musste eine hohe Buße leisten. Die Todesstrafe wurde nur bei Hochverrat durch die Volksversammlung verhängt. Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. drohte Sklaven und Verbrechern aus der Unterschicht der freien Bevölkerung die Todesstrafe bei Gewaltverbrechen, Brandstiftung, Giftmischerei und Diebstahl. Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. wurden besondere Geschworenengerichte (quaestiones) für bestimmte Verbrechen errichtet, insbesondere für Hochverrat, Hinterziehung von Staatseigentum, Wahlbestechung, Erpressung in den Provinzen, Mord, Fälschung (von Testamenten und Münzen), Persönlichkeitsverletzung (iniuria), Gewaltverbrechen und Ehebruch. Anklage konnte jedermann erheben. Erwies sich das Vorbringen des Anklägers als grundlos, so wurde dieser wegen Verleumdung (calumnia) verurteilt. In der Kaiserzeit wurden die Geschworenengerichte durch die Rechtsprechung der kaiserlichen Beamten im Kognitionsprozess verdrängt. Als Strafen für Verbrecher geringen Standes kamen nun auch Bergwerksarbeit und der Schwertkampf in der Arena in Betracht.
 
 Die Renaissance des römischen Rechts
 
In der westlichen Reichshälfte setzte sich der Verfall der Rechtskultur nach dem Zusammenbruch der römischen Staatsmacht in den germanischen Nachfolgestaaten während des ganzen früheren Mittelalter fort. Auch im Griechisch sprechenden Byzantinischen Reich vermochte man von der fast ganz lateinisch abgefassten Gesetzgebung Justinians keinen rechten Gebrauch zu machen. Die Texte waren aber im Westen erhalten geblieben, wurden seit dem 11. Jahrhundert wieder benutzt und seit Anfang des 12. Jahrhunderts in Bologna und in anderen italienischen und südfranzösischen Städten zum Gegenstand eines aufblühenden Rechtsunterrichts gemacht (Glosse). Das justinianische römische Recht wurde im ganzen lateinischen Europa bekannt und fand als gemeines Recht zunehmend Eingang in die Geschäfts-, Rechts- und Gerichtspraxis (Rezeption).
 
 
P. Koschaker: Europa u. das r. R. (41966);
 F. Wieacker: Röm. Rechtsgesch., auf mehrere Bde. ber. (1988 ff.);
 M. Kaser: Röm. Privatrecht (151989);
 W. Kunkel: Röm. Rechtsgesch. (121990).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
römisches Recht als europäisches Erbe
 

Universal-Lexikon. 2012.

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